„Adolescence“ – Eine Serie, die (mir) mehr zeigt, als viele sehen

Warum ich mir wünsche, dass wir anders über Männlichkeit sprechen

Die Netflix-Serie Adolescence hat mich ziemlich bewegt – nicht nur wegen der Geschichte, sondern vor allem wegen der Diskussionen, die seither laut werden.
Oft lese und höre ich von: „toxischer Männlichkeit“, „Frauenhass“, „Online-Radikalisierung der jungen Menschen“ oder vom „Strudel extremistischer Ideologien“.

Und vielleicht geht es dir ähnlich wie mir – irgendetwas daran fühlt sich einseitig an. Als würden wir wieder nur in Schubladen sprechen: Täter – Opfer. Schwarz – Weiß. Richtig – Falsch.

Ich glaube, die Serie zeigt etwas viel Tieferes. Etwas, das wir nur sehen, wenn wir nicht vorschnell urteilen.

Ein kurzer Sidestep: eine Szene in Portugal. Ein paar Jungs. Und ganz viel Leben.

Ich durfte gerade dieser Tage Zeuge einer Szene sein, die mich tief berührt und mich spüren lassen hat, wie wertvoll es ist, immer wieder GENAU hinzuschauen, vielleicht auch, um sich selbst zu ertappen.

Ein paar Jungs, vielleicht zwischen zehn und fünfzehn, beobachteten genau, wie der Wasserstand des sich frisch füllenden Pools (sehr langsam) stieg. Sie warteten auf den Moment, da er hoch genug sein würde, um vom Beckenrand ins kühle Nass zu springen.
Weil der Boden des Beckens uneben ist und zur Mitte hin tiefer wird, spielte es auch noch eine entscheidende Rolle, die Absprungstelle mit Bedacht zu wählen und realistisch einzuschätzen, wie weit man(n) springen kann. Und so standen sie Drinnen und Draußen, schätzten ab und hinterfragten ihren Mut. Und irgendwann sprangen sie. Nicht alle. Nicht wild oder blind. Keiner wurde gedrängt, sie waren umsichtig, um sich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen. Ein schöner Moment – voller Lebendigkeit, Mut, dem Kitzel von Risiko, Achtsamkeit und viel Freude. Und mit dem Wissen: Ich kann das.

Ich saß einfach da, schaute zu und erinnerte mich daran, wie es sich damals für mich angefühlt hat, als wir auf einem (hoffentlich wirklich) zugefrorenen See auf die Idee kamen, mit den Schlittschuhen Löcher ins Eis zu hacken oder Feuer zu machen.

So wie wir damals dem Risiko wissentlich (und jugendlich gutgläubig) ins Auge schauten, wussten auch diese Jungs, was sie taten. Sie spürten ihren Körper, sie forderten sich selbst und das Risiko heraus und erspürten ihre Grenzen.

Natürlich wurden am Endes dieses ersten Pooltages relativ schnell besorgte (mütterliche) Stimmen laut und das Bedürfnis nach Poolregeln, Verboten und Aufsichtspflicht wurde spürbar. Das ist ohne Frage in einem öffentlichen Badebereich eines Camps auch durchaus sinnvoll.

Und dennoch war da dieser Moment für die Jungs. Ein Geschenk, wenn man genau hinschaut. Ich tat es und bin sehr dankbar für das Stückchen Schleifenband, das auch ich lösen durfte.

Immer wieder sehe ich auch in meiner Arbeit diese uralte Dynamik zwischen Mut und Sorge, Kraft und Kontrolle, zwischen dem männlichen Drang, sich auszuprobieren – und der weiblichen Angst, dass dabei etwas passieren könnte.

Zurück zu "Adolescence": Jamie ist für mich nicht nur Täter. Er ist ein Spiegel.

Wenn ich Jamie sehe, sehe ich keinen Täter. Ich sehe einen Jungen, der keinen sicheren Poolrand hat, von dem er springen darf.
Kein Gegenüber, das ihm zutraut, seine Tiefe selbst zu prüfen.
Keine Mutter, keinen Vater, kein Lehrer, der ihn wirklich sieht.

Ich sehe Wut, ja. Und Schmerz. Und eine große, unerfüllte Sehnsucht nach Dazugehören.

KEIN Monster.
Ich sehe einen Spiegel – für das, was viele Jungen prägt, wenn sie in einer Welt großwerden, die ihnen keinen echten Platz gibt.
Einen Spiegel für unsere kollektive Beziehungslosigkeit. Für das, was passiert, wenn Kraft nicht begleitet, sondern bewertet wird.

Und was ist mit der „Online-Radikalisierung“?

In vielen Artikeln zur Serie ist von Online-Radikalisierung, Strudel extremistischer Ideologien oder dem Einfluss sozialer Medien die Rede.
Ich verstehe, woher dieser Blick kommt – aber ganz ehrlich: Ich sehe das anders.

Was ich wahrnehme, sind Jugendliche, die sich in digitalen Räumen ausdrücken – manchmal roh, manchmal verstörend, manchmal voller Schmerz.
Aber ich sehe dort keine klaren Ideologien.
Da ist eine Sprache, die wir Erwachsene oft nicht verstehen. Eine Suche nach Orientierung. Nach Macht. Nach Zugehörigkeit.

Nicht weil sie radikal sind – sondern weil sie oft radikal allein sind.

Ich glaube nicht, dass soziale Medien das Problem sind.
Sie sind der Ort, an dem etwas sichtbar wird – aber nicht die Ursache.
Die Prägung passiert nicht dort – sie passiert viel früher.
In Beziehungen. Oder im Fehlen davon.

Ich wünsche mir, dass wir aufhören, Männlichkeit mit Gefahr gleichzusetzen.

Ich erlebe oft, dass Mütter – vielleicht unbewusst – Angst vor der Kraft ihrer Söhne haben.
Nicht, weil ihre Söhne gefährlich sind. Sondern weil wir alle über Jahre gelernt haben, dass männliche Energie bedrohlich ist.
Dass Männlichkeit gleichzusetzen ist mit Aggression, Dominanz, Unterdrückung.

Aber was wäre, wenn sie in Wahrheit einfach nur lebendig ist?
Ungeordnet vielleicht. Roh. Aber voller Potenzial.

Was wäre, wenn wir anfangen, Jungen nicht (uns) gleichzumachen – sondern zu begleiten?
Wenn wir ihnen zutrauen, selbst zu spüren, was geht – und was nicht?
Wenn wir Mut und Risiko nicht bekämpfen – sondern bewusster Raum dafür schaffen?

Lass uns anders hinschauen. Und anders sprechen.

Nicht in Gegensätzen. Nicht im Schuld-Modus.
Sondern ehrlich, neugierig, offen.

Ich wünsche mir Gespräche, in denen wir uns fragen:

  • Woher kommt meine Angst – und ist sie überhaupt meine?

  • Welche Beziehung wünsche ich mir zu meinem Sohn – oder zu meinem eigenen inneren Jungen?

  • Wie kann ich ihm zutrauen, in seine Kraft zu kommen – ohne sie kontrollieren zu müssen?

Vielleicht spürst du auch: Es ist Zeit für ein neues Gespräch über Männlichkeit.
Eines, das verbindet statt zu spalten.
Eines, das heilt – statt zu bekämpfen.

Wenn du magst, dann bleib gern in Verbindung.
Ich werde meine Gedanken dazu auch auf meinen anderen Plattformen teilen – und vielleicht entsteht daraus noch mehr: Austausch, Workshops, neue Räume.
Denn ich glaube:

Wenn wir anfangen, anders (hin) zu sehen – fangen unsere Kinder an, anders zu sein.

Herzensgrüße,
Deine Franziska ❤️

Ps.: Wenn du magst, teile gern deine Gedanken mit mir.